Die Börsen sind aktuell extrem volatil, da mehrere Stressfaktoren zusammenkommen: Zinswende, Krieg, Inflation, Lockdowns in China und vieles mehr. Während Technologie-Aktien den stärksten Kursrückgang der vergangenen 30 Jahre erlebten*, beweist der Gesundheitssektor seine defensive Stärke. Die Aktien großer Pharma-Unternehmen sind derzeit geradezu ein sicherer Hafen.
Der Technologiesektor tickt anders. Das zeigt etwa Netflix, dessen Börsenwert sich um -67 %* reduzierte, nachdem im 1. Quartal die Zahl der Abonnenten gesunken war. Dabei wurde in dieser Phase ein Gewinn von 1,6 Mrd. US-Dollar erzielt. Bei einigen Aktien ist das eine gesunde Korrektur, in anderen Fällen sind es irrationale Kursverluste. Ähnliches war im Bereich Digital Health zu beobachten, etwa beim Telemedizin-Unternehmen Teladoc. Hier ging der Kurs seit Jahresbeginn um rund -65 %* zurück, nachdem das stark wachsende Unternehmen seine Erwartungen für 2022 nach unten korrigiert hatte.
Digital-Health-Aktien tun sich im aktuellen Kapitalmarktumfeld vergleichsweise schwer, da sie vielfach als Wachstumstitel zu bewerten sind. Die Märkte suchen kurzfristig eher nach Value-Titeln, also Aktien, die günstig bewertet sind, auch wenn sie vielleicht nicht besonders stark wachsen. In diesem Umfeld schlagen sich auch kleinere Unternehmen deutlich schlechter als große. Diese zwei Faktoren haben im laufenden Jahr für Gegenwind gesorgt, sollten aber nicht von Dauer sein.
Wir sehen die aktuelle Schwäche deshalb als Einstiegsgelegenheit. Die Bewertungen haben sich seit den Hochpunkten des Vorjahres fast halbiert und sind damit wirklich attraktiv. Viele Digital-Health-Titel handeln zu Vor-Covid-Kursen, was fundamental nicht gerechtfertigt ist. Denn Umsätze, Gewinne und Geschäftsmodelle haben sich positiv weiterentwickelt. Wir halten die Verluste daher überwiegend für übertrieben und kaufen eher wieder zu.
Große Fortschritte sehen wir zurzeit bei Dienstleistern, die Services anbieten, um die Behandlungs-kette effizienter zu nutzen. Dabei gibt es verschiedene Geschäftsmodelle, die sich teilweise an Patientinnen und Patienten wenden, teilweise an die Ärzteschaft oder an Krankenversicherungen. Auch in der Medizintechnik bringt die Digitalisierung einen spürbaren Mehrwert, etwa für Diabetestherapien. Drahtlose Systeme zur Blutzuckermessung und Insulin-Infusion ermöglichen nicht nur klinisch bessere Ergebnisse, sondern auch eine Steigerung der Lebensqualität.
Mittelfristig wird zudem die Prävention deutlich wichtiger werden. Hier kommen dann Unternehmen ins Spiel, die mit digitalen Diagnose- und Monitoring-Lösungen punkten können, zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wie attraktiv das ist, zeigen auch mehrere laufende Übernahmen. Microsoft hat im Frühjahr den Kauf von Nuance abgeschlossen, das auf KI für Gesundheit spezialisiert ist. Das Orthopädie-Unternehmen Stryker hat kürzlich Vocera übernommen, das digitale Kommunikation für Kliniken anbietet. Oracle kauft gerade den Krankenhaus-IT-Spezialisten Cerner. Übernahmen werden mit Prämien von bis zu 40 % über dem Marktwert bezahlt. Zum Beispiel bezahlte Vera Whole Health für Castlight einen Aufschlag von rund 36 % auf den letzten gehandelten Kurs. United Health bot für Change Healthcare sogar 41 % mehr.
Die Zinserwartungen sind inzwischen teilweise eingepreist, der Druck von dieser Seite sollte also nachlassen. Zudem gilt: Megatrend sticht Börsentrend. Wie wichtig die beiden Megatrends Gesundheit und Digitalisierung für die gesamte Weltwirtschaft sind, hat die Pandemie gezeigt. Die Digitalisierung ist für die Tragfähigkeit und Weiterentwicklung der Gesundheitssysteme langfristig unabdingbar. Solche Megatrends wirken dauerhaft über Jahre und Jahrzehnte und reichen damit weit über Börsentrends und Konjunkturzyklen hinaus.
* Zeitraum 1.1.-18.5.2022, Quelle Morningstar